Mythen der Sporternährung
Fit durch die richtige Sporternährung: Was soll eigentlich die Banane? Und was nützt der Protein-Shake?
Unzählige Ernährungsmythen und -legenden geistern durch die Breitensport-Garderoben. Doch an welchen ist überhaupt etwas dran? Von Isabelle Pfister
Wer gut und richtig isst, erzielt im Sport bessere Resultate. Doch was heisst «gut» und «richtig»? In der Schweiz informieren sich immer mehr Spitzensportlerinnen und Spitzensportler in Ernährungsberatungen über optimale Energiezufuhr und Nahrungszusammensetzung. Hobbysportlerinnen und Hobbysportler hingegen orientieren sich oft an Ratschlägen, die seit Jahrzehnten durch die Breitensport-Garderoben geistern.
Joëlle Flück ist Expertin für Sporternährung und betreut unter anderem das Verbandskader von Swiss Cycling. Beim Blick auf eine Liste gesammelter Mythen sagt sie: «Der Mythos mit dem Magnesium ist extrem stark verankert in den Köpfen.» Da steht zum Beispiel, Magnesium helfe, Krämpfen vorzubeugen. Flück sagt, Magnesium und dessen Wirkung auf Krämpfe während des Sports seien wenig untersucht. Das liegt vor allem daran, dass es schwierig ist, einen Krampf «im Labor» zu erzwingen. Ausserdem hätten andere Faktoren weitaus grössere Auswirkungen auf Krampferscheinungen, sagt Flück, zum Beispiel der Salzhaushalt oder die Flüssigkeitszufuhr.
Auch neuromuskuläre Faktoren spielen bei Krämpfen eine Rolle. Wird beispielsweise bei einem Velofahrer wegen der Sitzposition ein Muskelstrang zu stark beansprucht, kommt es zu einer Überaktivierung bei den Nervenimpulsen an die Muskulatur, was zum Krampf führen kann. Magnesiumpräparate seien für Menschen mit entsprechendem Mangel geeignet, diese jedoch präventiv vor dem Sport einzunehmen, um Krämpfen vorzubeugen, funktioniere nicht.
Ausser beim Magnesium gibt es viele weitere Mythen und Legenden rund um die Sporternährung. Zusammen mit Joëlle Flück geht die NZZ den populärsten auf den Grund. Was bewirkt tatsächlich etwas, und was ist eben doch nur ein Mythos?
Mythos 1: In jede Sporttasche gehört eine Banane
Kohlenhydrate sind wichtig im Sport, Flück bezeichnet sie als Benzin, das Leistung überhaupt ermöglicht. Die Banane ist eine Kohlenhydrat-Quelle und gut verdaulich. Deshalb beisst der Tennisspieler zwischen zwei Sätzen in die gelbe Frucht, Radfahrer verpflegen sich mit ihr, und auch am Kantonalturnfest vertilgt der Oberturner zwischen Steinheben und Pendelstafette eine Banane.
Zu welchem Zeitpunkt die Banane eingenommen wird, spielt keine Rolle; nützlich ist sie allemal. Vor dem Sport gibt sie zusätzliche Energie, während des Sports sorgt sie für einen Energieschub, und nach dem Sport füllt sie die Kohlenhydrat-Speicher auf.
Auch nach einem Vereinstraining spätabends ist es wichtig, den Kohlenhydrat-Speicher aufzufüllen. Das unterstützt die Regeneration und sorgt für einen guten Schlaf.
Mythos 2: Nach dem Sport unbedingt Proteine einnehmen
Der Körper sollte über den Tag nie eine negative Proteinbilanz haben. Er kann Proteine nicht speichern, deshalb ist eine regelmässige Proteinzufuhr sehr wichtig. Ist diese nicht gewährleistet, greift der Körper automatisch auf Protein zurück, das sich in unseren Muskeln befindet; muss er das über einen längeren Zeitraum tun, baut er Muskeln ab.
Vor allem am Morgen und nach dem Sport ist die Proteinzufuhr wichtig, denn die Speicher sind nach der Nachtruhe oder dem Training leer. «Bei den meisten Sportlern kann die Basisernährung optimiert werden. So enthält das klassische Schweizer Frühstück – Brot mit Butter und Konfitüre – nur einen geringen Proteinanteil», sagt Flück.
Proteine bestehen aus einer Reihe von Aminosäuren; vor allem in Milchprodukten und Fleisch sind diese Aminosäuren-Ketten umfangreicher, weshalb die optimale Proteinzufuhr meistens über tierische Produkte erfolgt. Dabei ist Fleisch nicht gleich Fleisch. Salami hat beispielsweise im Verhältnis zur Kalorienzahl zu wenig Nährstoffe und einen sehr hohen Fettanteil. Ein Rindsentrecôte hingegen deckt den Bedarf an Proteinen effizient ab.
Das bedeutet aber nicht, dass vegetarische oder vegane Ernährung für Sporttreibende schlecht ist. Auch in pflanzlichen Produkten sind Proteine enthalten, oft muss man aber grössere Mengen davon verzehren, um einen ähnlich hohen Proteinwert zu sich zu nehmen wie mit tierischen Produkten. Zur Veranschaulichung: 200 Gramm Magerquark enthalten gleich viel Protein wie 200 Gramm Haferflocken – die Haferflocken essen aber die meisten mit Joghurt oder Milch. Der Magerquark ist also effizienter, weil mit weniger Kalorien mehr Proteine aufgenommen werden. Wer sich vegan ernährt, sollte auf Sojamilch zurückgreifen, sie enthält fast so viel Protein wie Kuhmilch. Andere pflanzliche Milchalternativen eignen sich hingegen nicht als Proteinquelle.
Mythos 3: Bier ist ein gutes Regenerationsgetränk
Während des Sports schwitzen wir, die Flüssigkeitszufuhr ist deshalb sehr wichtig. Doch welches Getränk ist das beste? Beeinflussen elektrolytische Getränke die Leistungsfähigkeit, und putscht Koffein auch beim Sport auf die richtige Art und Weise auf? Und dürfen wir uns das Bier in der Beiz ohne schlechtes Gewissen gönnen?
Vor allem im Breitensport ist das Bier nach dem Training oder dem Spiel ein Ritual für geselliges Beisammensein und taktische Nachbesprechungen. «Ist ja ein isotonisches Getränk», lautet die Rechtfertigung. Tatsächlich ist Bier kohlenhydrathaltig und damit eigentlich ein gutes Nahrungsmittel, um nach dem Sport die Speicher in der Leber aufzufüllen. Benzin eben. Eigentlich. Doch für den perfekten Regenerationsdrink fehlen dem Bier die Proteine. Und Alkohol dehydriert den meist bereits vom Schwitzen ausgetrockneten Körper noch mehr. Gegen ein Bier in geselliger Runde spricht aber grundsätzlich nichts, solange die Sportlerin oder der Sportler dazu genügend Wasser trinkt und Proteine isst.
«Nimmt ein Ausdauersportler bei längeren Belastungen kohlenhydrathaltige Sportgetränke zu sich, kann dies die Leistungsfähigkeit aufrechterhalten. Diesen Effekt sieht man bei Elektrolytgetränken nicht», sagt Flück. Im Gegensatz zu elektrolytischen Getränken sind in Sportgetränken Kohlenhydrate und Maltodextrin enthalten. Elektrolytische Getränke sind vereinfacht ausgedrückt Salzmischungen mit Wasser. Schwitzt eine Athletin oder ein Athlet viel, sind solche Getränke gut für den Körper. Sportgetränke kommen oft bei Ausdauersportarten zum Zug, denn sie sind eine leicht verdauliche Energiequelle.
Auch Koffein kann einen zusätzlichen Boost verleihen. Dabei sind vor allem der Zeitpunkt der Einnahme und die Menge wichtig. Richtig dosiert zur rechten Zeit kann Koffein auch für Sprintwettkämpfe wirkungsvoll sein. Drei bis sechs Milligramm Koffein pro Kilogramm Körpergewicht können die Leistung in spezifischen Situationen steigern. 30 bis 60 Minuten nach der Einnahme erreicht das Koffein im Blutkreislauf seinen Höhepunkt. «Wird zu viel Koffein eingenommen, kann dies die Leistung negativ beeinflussen», sagt Flück. Ob ein Espresso vor dem Tennistraining oder ein hochdosierter Koffein-Shot während des Langstreckenlaufs – ein Sportler muss bei der Einnahme von Koffein die Halbwertszeit des Abbaus im Körper beachten. Sie beträgt rund fünf Stunden. Koffein kann sich auf den Schlaf auswirken.
Mythos 4: «Ovi» wirkt nach dem Sport wie ein Protein-Shake
1923 sponserte Ovomaltine erstmals einen Sportanlass, er fand auf dem Gelände der Universität Bern statt. Der «Ovi»-Verpflegungsstand am Wettkampf war der Erste seiner Art. Damals stellte die heutige Kultmarke Aufbaugetränke her. Inzwischen hat sich das Sortiment vervielfacht. Als Sponsor ist Ovomaltine an Sportanlässen immer noch präsent; allein schon wegen Didier Cuches orangem Skihelm wird «Ovi» in den Köpfen des Publikums bis heute mit Sport assoziiert.
Auch der Mythos, dass die «Ovi» nach dem Sport wie ein Protein-Shake wirkt, hält sich hartnäckig. Er stimmt halbwegs. Wegen der Milch und des Zuckers in der Schokolade ist die «Ovi» kalorienreicher als der Protein-Shake, der dem Körper mit möglichst wenig Kalorien ein Maximum an Proteinen zuführt. Die Milch ist aber eine gute Proteinquelle, vor allem, weil der Körper die Molkeproteine schnell aufnimmt. Deshalb ist die «Ovi» als Regenerationsgetränk nach dem Sport hilfreich – die Kalorien und den Zucker einmal ausser acht gelassen.
Mythos 5: Der Teller Pasta vor dem Fussballspiel
Kohlenhydrate sind das Benzin für unseren Körper. Spaghetti, Fusilli und Co. sind eine gute Quelle für Kohlenhydrate, der Teller Pasta des Amateurfussballers am Spieltag ist deshalb mehr als nur ein Mythos. Wer nicht jedes Mal Pasta essen möchte: Auch Kartoffeln oder Reis sind reich an Kohlenhydraten. Allerdings sollte beim Anpfiff oder beim Startschuss die letzte grosse Mahlzeit drei bis fünf Stunden zurückliegen wegen der Verdauung. Bei intensiver körperlicher Anstrengung verlagert sich das Blut von den Organen in die beanspruchten Muskeln, daher kann die Verdauung während des Sports nicht optimal arbeiten.
Je näher am Spiel oder Wettkampf, desto leichter sollte die Nahrung deshalb sein. Und am besten auch fett- und proteinarm. Es ist jedoch sehr individuell, wie gut jemand verschiedene Nahrungsmittel verdaut. Oft gehört das immergleiche Gericht vor Wettkämpfen und Spielen zu den Ritualen eines Sportlers, wobei er darauf setzt, was schon in der Vergangenheit gut funktioniert hat. Dann ist es zweitrangig, wie fetthaltig der Riegel auf der Fahrt zum Fussballplatz tatsächlich ist, denn Rituale sind wichtig für den Kopf.
Mythos 6: Vom Salat schrumpft der Bizeps
Ja, wir wurden als Kinder alle angelogen. Spinat macht nämlich nicht gross und stark, obwohl die Comicfigur Popeye, der Seemann, stets das Gegenteil predigte. Das Blattgemüse ist zwar wie jedes andere Gemüse sehr gesund, reich an Vitaminen und Mineralien, aber Proteine, die den Muskelaufbau fördern, enthält es kaum. Das erklärt im weitesten Sinn auch, weshalb von Salat der Bizeps schrumpfen soll. Isst man nur Salat, muss der Körper das Proteindefizit über das Protein in den Muskeln ausgleichen und baut damit Muskeln ab.
Reibkäse hingegen soll gut sein für den Bizeps. Das scheint zwar weit hergeholt, ist im Kern aber nicht falsch. Reibkäse enthält wie jeder Käse das Protein Kasein, das als Nachtprotein gilt. Während das Molkeprotein für den Körper schnell verfügbar ist, wirkt Kasein langsamer, versorgt ihn dafür aber auch über eine längere Zeitspanne. Ein Stück Käse vor dem Schlafengehen ist also gut für die Proteinbilanz, es gilt aber auch auf die Fettwerte und Kalorien dieses Snacks zu achten.
Weitere Mythen: Vitamine, Intervallfasten und Supplemente
Unsere Ernährung sollte aus drei Komponenten bestehen: aus Kohlenhydraten, Proteinen sowie Früchten und Gemüse. Vergleicht man Sporttreibende mit Menschen, die keinen Sport machen, gibt es kaum einen Unterschied beim Anteil an Früchten und Gemüse – Vitamine und Mineralien braucht jeder. Die Menge kohlenhydrat- und proteinhaltiger Nahrungsmittel nimmt jedoch zu, je nach Sportart und Intensität.
Wichtig ist, dass Sporttreibende den Tag über nicht auf Kohlenhydrate verzichten, sonst fehlt die Energie. Intervallfasten eignet sich nicht für Menschen, die viel Sport treiben, denn das Intervallfasten nimmt ein Energie- und Proteindefizit bewusst in Kauf. Trotzdem kann je nach Ziel der körperlichen Aktivität beispielsweise auf das Frühstück verzichtet werden. Möchte man abnehmen, ergibt es Sinn, Morgensport mit nüchternem Magen zu treiben. Bei Krafttraining und hochintensiven Einheiten ist ein Frühstück wichtig.
Auch wenn sie im Volksmund einen schlechten Ruf haben, sind Fette für eine gesunde Ernährung sehr wichtig. Weil sie oft Mitläufer sind, unter anderem in proteinreichen Nahrungsmitteln, lassen sich Fette einfach in die Ernährung integrieren. Vor allem in Fisch, Nüssen und Eiern sind gesunde Fette enthalten.
Supplement-Produkte werden immer beliebter, auch bei Hobbysportlern. Das geht vom Proteinpulver bis hin zu Tabletten, die den Muskelaufbau und die Fettverbrennung fördern sollen. Mehr ist bei solchen Produkten aber grundsätzlich nicht besser. In grossen Mengen konsumiert, führen Supplemente oft zu Magen-Darm-Problemen.
Joëlle Flück beschreibt die typische Pyramide der Sporternährung so: «Unten ist die Basisernährung, die als Erstes angepasst wird und gesund sein muss. Erst dann folgt auf der nächsten Stufe die an das Training und die Ziele angepasste Ernährung. Das kann beispielsweise eine proteinreiche oder eine kohlenhydratreiche Ernährung sein. In der Spitze der Pyramide kommen dann Supplemente ins Spiel, die diese Ernährungsanpassungen zusätzlich unterstützen.»
Mein Essen, meine Identität: Die Ernährung beeinflusst uns stärker, als viele denken. Sie kann gesund, aber auch krank machen. Für die einen ist sie ein Hype, für die anderen eine Ersatzreligion. Die NZZ widmet sich in einer Serie den wichtigsten Fragen rund ums Essen – von der Produktion über den Genuss bis hin zur Wirkung auf unser Leben.
Mit freundlicher Genehmigung der NZZ, 29.1.2021
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